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30.03.2023

Wiederholte Kernzeitverletzungen eines Beamten: Rechtfertigen keine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis

Der Dienstherr ist verpflichtet, bei Bekanntwerden wiederholter morgendlicher Verletzungen der Kernarbeitszeit zunächst dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechend durch niederschwellige disziplinare Maßnahmen zeitnah auf den Beamten einzuwirken. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden und im konkreten Fall einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wegen des morgendlichen Zuspätkommens eine Absage erteilt.

Der beklagte Beamte steht als Oberregierungsrat im Dienst der klagenden Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Im März 2015 erfuhr die Klägerin, dass der Beklagte in einer Vielzahl von Fällen die Kernarbeitszeit nicht eingehalten hatte, weil er morgens zu spät gekommen war. Daraufhin leitete sie im November 2015 ein Disziplinarverfahren ein. Auf die 2018 erhobene Disziplinarklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt, weil er im Zeitraum zwischen 2014 und 2018 an insgesamt 816 Tagen bei bestehender Dienstfähigkeit den Dienst bewusst erst nach Beginn der Kernarbeitszeit angetreten habe; der Umfang seiner Verspätung summiere sich auf 1.614 Stunden. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) zurückgewiesen.

Das BVerwG hat auf die Revision des Beklagten die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und kraft eigener disziplinarer Maßnahmebemessung den Beamten in das Amt eines Regierungsrats zurückgestuft. Der Beamte habe zwar ein schweres Dienstvergehen begangen, weil er über einen langen Zeitraum wiederholt die dienstliche Anordnung zum Beginn der Kernarbeitszeit nicht befolgt hat; der verspätete Dienstantritt sei die Regel gewesen. Die disziplinare Höchstmaßnahme sei aber nicht gerechtfertigt. Denn die aufaddierte Gesamtzeit der täglichen Verspätungen könne in ihrer Schwere nicht einem monatelangen unerlaubten Fernbleiben vom Dienst gleichgesetzt werden.

Mildernd sei bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen, dass der Dienstherr bei zeitlich gestreckten Dienstpflichtverletzungen zunächst dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechend mit niederschwelligen disziplinaren Maßnahmen auf den Beamten einwirken muss. Im Streitfall wäre in Betracht gekommen, nach dem Bekanntwerden der Kernzeitverstöße im März 2015 zeitnah mit einer Disziplinarverfügung die Dienstbezüge zu kürzen. Allerdings stehe diesem Milderungsgrund gegenläufig als besonders belastender Umstand gegenüber, dass der Beamte sein Fehlverhalten auch nach Einleitung des Disziplinarverfahrens uneinsichtig und beharrlich fortgesetzt und dabei die Dauer seiner morgendlichen Fehlzeiten in erheblichem Umfang gesteigert hat. Dagegen sei kein mildernder Umstand darin zu sehen, dass die Zeit der morgendlichen Verspätungen durch abendliche Längerarbeit ausgeglichen wurde. Andernfalls läge darin eine Nichterfüllung der Gesamtarbeitszeit, die als weitere vorwerfbare Dienstpflichtverletzung hinzutreten würde.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.03.2023, BVerwG 2 C 20.21